EVOLUTIONSSPRUNG
Blogtour (Tag 6) "Emotiondancer"
Jörgs wunderbare Optimierungen aller Art – geöffnet von 6-22 Uhr, steht in großen blinkenden Lettern über dem Geschäft mitten in der Plaza der gehobenen Ebene Skyscrapes.
Jörg ist mein Mann und der beste
Mechaniker und Automatisierungstechniker hier in den Bereichen des Mittelstandes. Freilich, es gibt reichere Regionen und sicher noch viel optisch naturähnlichere Gliedmaßen und Anpassungen, aber hier handeln wir mit mechanischen Entsprechungen menschlicher Körperteile im mittleren Preissegment.
„Jörg“ brülle ich nach vorn durch den ganzen Laden.
Verdammt noch mal ist das Ding schwer. Ich kann das nicht über den Kopf heben.
Zwar hab ich auch Optimierungen genossen, doch meine Arme sind noch nicht erneuert worden. Das ist eine Frage des Geldes, und somit kann ich diese beschissen schweren Wirbelsäulen nicht in das Schwerlastregal heben. Meine Beine machen durchaus solches Gewicht mit, auch das Rückgrat ist kein Problem - alles optimal eingestimmt auf Statur und Kraftbedarf meines Körpers und meines Jobs - nur die verdammt labbrigen Arme sind noch „naturbelassen“.
Als würde ich das so wollen.
Pah, wird Zeit für eine Erneuerung.
„Jörg!“
Verdammt noch mal, wo steckt der Kerl? Braucht der neue akustische Implantate oder ist das nur die Energiezufuhr, die er vermutlich selbst unterbrochen hat, weil er mich nicht hören will?
„Scheiße“, fluche ich und lasse die hydraulisch-kybernetischen Wirbel eines Mannes, der im Ursprung wohl an die 2 Meter groß sein muss, auf den Boden scheppern, als meine „Winkeärmchen“ aufgeben. Manchmal fühl ich mich ähnlich „ärmlich“ wie ein T-Rex aus längst vergessenen Erdzeitaltern.
Dieses Gepolter lockt den Herrn der Schöpfung dann doch hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervor, den wir natürlich nur noch als dekorative Holografie hier bei uns stehen haben. Echtes Feuer gibt es nicht in Skyscrape, zumindest hier oben nicht, wäre ja auch mächtig gefährlich – und sinnlos, schließlich sorgen die Klimaanlagen immer für optimale Temperaturen.
Er kommt angesaust, als sei der Teufel hinter ihm her und bleibt schlitternd vor mir stehen. Ganz schön flink der alte Mann, er hat seinen 75. Geburtstag auch schon hinter sich. Wobei er angeblich aussieht, wie Menschen mit 30. Aber hey, alles optimiert und dennoch bleibt er mein Alter…
Er sieht mich an, guckt auf den Boden, wo die Prothese ein paar kleine Schräubchen verloren hat, und beginnt gackernd zu lachen.
„Schatz, hast wohl ein paar Schrauben locker“, bringt er mühsam heraus.
Hach ja, denke ich.
Immer die gleiche alte Leier. Ich hab reichlich Schrauben locker.
„Hase, jetzt hör auf zu lachen, hilf mir mal und lass die Vorträge stecken. Ich weiß, ich brauche neue Arme, aber das kostet reichlich Moneten, und“, ich mustere ihn, bevor ich weiterspreche: „die haben wir nicht. Du weißt warum.“
„Ja ja“, höre ich sein Gemurmel.
Der Grund ist sehr einleuchtend. Sein menschliches Herz machte schlapp, genau dann, als ich mir die Arme machen lassen wollte. Also hatten wir die Wahl zwischen »er überlebt« oder »ich habe neue Arme« und ganz ehrlich, das war keine Entscheidung, über die ich lange hätte nachdenken müssen. Er ist wie neu und ich bin die Alte. Innerlich muss ich darüber grinsen.
„Und schlägt der Arsch auch Falten, wir bleiben doch die Alten“, träller ich vor mich hin, während der Göttergatte fein die Wirbel hochhebt und im Regal verankert.
Seit vielen Jahren schon vertreiben wir hier kybernetische Körperteile. Wunderschön, mit samtiger glatter Kunsthaut bis hin zu rohen Stahlelementen, die Nutzen bringen, aber schön wäre wirklich maßlos übertrieben.
Die Kybernetik wird seit vielen Jahren stündlich voran getrieben und befasst sich mit verschiedenen Systemen und der Kombination von Biologie, Technik und Automatisierung. Die Steuerung und Regelung bestimmter Bauelemente durch biologische Auslöser - ähnlich menschlichen Nervenimpulsen - faszinieren meinen Mann schon so lange ich ihn kenne. Irgendwie hat er mich angesteckt. Wobei ich eher diejenige bin, die an der Ästhetik arbeitet und vielleicht auch eine Funktionseinschränkung entdeckt, die ihm gar nicht bewusst sein mag.
„Sag mal, mein Guter, die Wirbelsäule macht einen etwas labbrigen Eindruck. Ziehst Du da die muskulären Stränge fester herum oder baust Du das Hub-Senk System mit den hydraulischen Buffern von innen an - in Höhe der Lendenwirbel?“
Diese Frage muss ich ihm stellen, denn so schwer wie das Ding war, wirkt es doch ein wenig, nun nennen wir es »lavede« im Handling und kann zur Seite wegknicken, wenn der spätere Nutzer seitlich hebt. Ist mir selbst schon passiert, ich sag euch, ein »Bandscheibenvorfall« in der Hydraulik ist kein Witz! Die schrauben ewig an dir rum und dann musst du liegen. Das stinkende Öl plempern die dir in alle - in wirklich alle, auch in die biologischen - Körperritzen.
„Die ist nicht labbrig“, knurrt der holde Gemahl, „die ist einfach ... nun sagen wir: preiswert, daher schwer und ein wenig instabil. Aber für Höchstlasten geeignet. Du hebst damit locker 350 kg aus der Hüfte, ohne das ein Splinterstift aus der Verankerung saust. Ästhetische Hüpfübungen machst du damit aber eher nicht, mein Schatz – zumal das Ding hier eine Länge von guten 1.20m hat, also der Träger dieses Schmuckstücks wohl an die 2 Meter luftige Körperhöhe haben sollte“. Er sieht mich lachend an. „Du mit deinen minimalen 1.70 m brauchst was Filigraneres, weniger Ungelenkes, etwas Zarteres und das hast Du ja bekommen. Diese Optimierungen sind ein Segen, Du weißt, was ich meine“, sprichts, klopft sich mit der Faust auf die Hydraulikpumpe im Brustbereich und lässt ein tiefes Glucksen hören.
Dann stapft er nach vorn. Ich widme mich wieder der Warenlieferung: Prüfe die angelieferten Oberarme mit den zwei angegliederten Gelenken, sortiere nach Kraft und Hebemöglichkeit, biologischem Geschlecht sowie nach Körpergröße in die Regale ein. Das ist ein bisschen wie Schrauben sortieren.
Apropos Schrauben … Manchmal denk ich, die Obrigkeit hat eine Schraube locker. Ich mein, was die alles rumforschen und neu zusammensetzen. Unglaublich! Jetzt gibt’s neben den mechanischen und kybernetischen Ersatzteilen für den Menschen in allen Preisklassen auch noch genetische Produkte auf dem Markt.
Die Preislisten hat mir das System als eingetragener Optimierungshändler automatisch zugesendet und ich hab mich mal schlau gemacht.
Jeder kennt den Autofokus von künstlichen, hübsch bunten Augen oder das feine Gehörimplantat, verbunden mit dem visuellen und auditiven Cortex. Das ist nicht neu und wird immer wieder mit Chipmodulen im Nanobereich ordentlich fein nachjustiert.
„Da hört man die Flöhe husten“, flüstere ich grinsend vor mich hin.
Ich weiß, wovon ich rede, denn eigentlich hat mein Mann beidseitig solch wundersame Gehörimplantate - der will mich nur nicht hören.
Ganz leise sage ich: „Schatz, Du altes Ersatzteilgeschwader, ich liebe Dich.“
Schon höre ich ihn lauthals am anderen Ende des Lagers lachen. Ohne Zweifel hat der Schlawiner mich ganz genau gehört. Er ignoriert mich willentlich!
„Die probieren jetzt genetisch die Zucht optimaler Körperorgane aus einwandfreiem Rohmaterial. Was klingt wie ein schlechter Scherz, steht als Werbeslogan an einem der größten Plätze der Ebene: »Genetisch angepasste menschliche Ergänzungen.« Ob die tatsächlich neben Herz und Lunge jetzt auch Augen wachsen lassen können? Schatz, was denkst Du darüber?“
„Und sag mal“, rede ich einfach leise weiter, wohl wissentlich, dass er mich hören kann. „Was hältst Du eigentlich von diesen Forschungen am Gefühlsleben? Du hast doch auch den Artikel gelesen. Die forschen jetzt an der Tatsache, dass nicht nur evolutionsbiologisch Empfindungen erlernt werden oder angeboren sind, sondern … warte mal, wie war das gleich …“
Leise vor mich hinschwatzend gehe ich in die Richtung, in der ich meinen Mann vermute. Der kommt mir tatsächlich entgegen, hält den Finger an den Mund und sieht sich im Raum um.
Na was denn, darf man so was nicht sagen oder was?
Er flüstert: „Was ich unlängst gelesen habe war - aber psssst die Seiten waren nicht von der Obrigkeit zugelassen - dass die angeblich jetzt schon an der Amygdala und im limbischen System rumwursteln. Sie versuchen wohl, die Emotionen des Menschen, genau wie Augen, Hand und Bein durch künstliche Gefühle zu ersetzen. Stell Dir bloß mal vor, dann bist du ein Haufen Fleisch und machst, was angeblich »richtig« ist. Die nehmen dir meiner Meinung nach dein Selbst, vielleicht schon als Baby. Gruselig, oder? Da bleib ich bei meinen Metallbeinen, das ist mir lieber. Ich weiß nicht, ob ich diese Art des künstlichen Evolutionssprungs begrüßen kann.“
Himmel, wenn ich mir das vorstelle, denke ich, der perfekte, schöne, funktionstüchtige, vielleicht irgendwann wartungsfreie Mensch. Nicht alternd, ohne Kinderwunsch, um eine Überbevölkerung der Stadt zu vermeiden. Das klingt für mich nach einem perfekt steuerbaren zwischenmenschlichen System ohne Widerspruch.
Das macht mir Angst, denn bin ich dann noch Mensch und Individuum oder bin ich dann ein Soldat der Obrigkeit? Und gibt es dann überhaupt noch irgendwas, was ein Herz benötigt - und ich meine nicht die Pumpfunktion? Und was macht eigentlich einen Menschen aus, der wankt doch stumpfsinnig vor sich hin? Beeinflusst es sein Denken?
Gruselig. Sehr, sehr gruselig. Mir fallen spontan viele Zombiefilmchen ein, die in einem emotionsgedämpften Umfeld doch gar keinen Spaß machen und nur volle Pulle emotionsgeladen zu genießen sind.
Um meine Gefühle im Zaum zu halten, nicht das noch irgendwer besänftigende Lieder im Haussystem dudeln lässt, beginne ich ein beruhigendes Kinderlied zu summen. Sofort fühle ich mich wieder besser, denke an damals, als wir jung waren … das Ersatzteilgeschwader und die mit der Schraube locker.
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Betreff: Blogtour "Emotiondancer"
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* Das Gewinnspiel läuft vom 24.10.2020 – 01.10.2020 um 23:59 Uhr
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Besucht auch die anderen, spannenden Beiträge unserer Tour!
24.10. BREAKING NEWS bei
Bibilotta
25.10. DIE NEUE MODERNE bei
Mein Regal voller Regenbögen
26.10. DIGITALE EMPATHIE bei
Gwynny’s Lesezauber
27.10. VERGISS NICHT bei
Magische Momente
28.10. EVOLUTIONSSPRUNG bei
Pummelfeechens Lesezimmer
29.10. SICHERHEITSBERICHT bei
Bücher aus dem Feenbrunnen
30.10. INTERVIEW bei
Charleens Traumbibliothek
31.10. Lostopf
01.11. Auslosung auf den Social Media Kanälen von
E.F.v. Hainwald
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